Kann das sein? Eine Art Polit-Sektenzentrale, mitten in Berlin-Wilmersdorf?

ZEIT ONLINE hat monatelang recherchiert, hat Archivmaterial sowie interne Dokumente ausgewertet, hat neben Aussteigern auch Expertinnen und Experten befragt – und hält die Berichte der ehemaligen Bewohner der Villa für glaubwürdig.

Psychotechniken und Lobbyarbeit

Bereits seit Jahren sind Vorwürfe bekannt, denen zufolge die Volksmudschahedin Mitglieder im Ausland mittels Psychotechniken gefügig machen sollen, etwa in Albanien. Vor zwei Wochen hatte das ZEITmagazin zudem berichtet, dass die Organisation in den Neunzigerjahren Dutzende Kinder aus Köln in den Irak geschleust und mithilfe solcher Techniken dort festgehalten haben soll (ZEIT Nr. 44/2021), was diese bestreitet. Zum ersten Mal gibt es nun Indizien dafür, dass die Volksmudschahedin ähnliche Methoden mutmaßlich auch in jüngster Zeit in Deutschland angewendet haben.

Die Volksmudschahedin haben sich im Laufe ihrer Geschichte vielfach gewandelt. Bis 2009 standen sie auf der Terrorliste der EU. Mittlerweile treten sie nicht mehr militant auf, für den Verfassungsschutz sind sie deshalb kein Beobachtungsobjekt mehr. Heute betreiben sie vor allem Lobbyarbeit. Sie organisieren zum Beispiel Unterschriftenaktionen und fordern Politiker auf, alle diplomatischen Beziehungen zum Iran abzubrechen. Aktuell trommeln sie gegen die Atomverhandlungen mit Iran, welche die EU Ende November wieder aufnehmen will.

In Europa und den USA sind sie dafür unter dem Label Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) aktiv. Das Hauptquartier liegt in der Nähe von Paris, die Deutschlandzentrale liegt in der Villa in Berlin. Sich selbst inszeniert die Organisation dabei als demokratische Fundamentalopposition zum iranischen Regime, mit Tausenden Mitgliedern und Unterstützern weltweit.

Die US-Regierung sah die Volksmudschahedin als Verbündete

Unter Politikerinnen und Politikern hat ihnen das einige Freunde verschafft, etwa unter Mitgliedern der Trump-Regierung. Erst kürzlich, Ende Oktober, nannte der frühere Vize-US-Außenminister Mike Pence die Anführerin der Volksmudschahedin, eine 67-jährige Iranerin namens Mariam Radschawi, eine “Inspiration für die Welt”. Und in Deutschland setzt sich seit vielen Jahren ein Zusammenschluss namens Deutsches Solidaritätskomitee für einen freien Iran (DSFI) für die Volksmudschahedin ein. Im Beirat sitzt die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Auf Anfrage wollte sie sich zu den Vorwürfen gegen die Volksmudschahedin nicht äußern.

Immer wieder nahmen auch Bundestagsabgeordnete an den Veranstaltungen dieses Unterstützerkomitees teil – an einer Videokonferenz im November 2020 zum Beispiel die beiden Hamburger CDU-Abgeordneten Christoph Ploß und Christoph de Vries. “Eine demokratische Alternative im Iran zum herrschenden Mullah-Regime”, nennt de Vries darin die Frontorganisation der Volksmudschahedin, den Nationalen Widerstandsrat. Auch Thomas Erndl (CSU), Lukas Köhler (FDP) und Bernhard Daldrup (SPD) nahmen an solchen Konferenzen teil, außerdem der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) – und die Volksmudschahedin-Anführerin Mariam Radschawi.

Demokratische Inspiration oder gefährliche Sekte – die Meinungen zu den Volksmudschahedin könnten kaum weiter auseinanderliegen. Warum, das erklärt sich zum Teil aus ihrer Geschichte. Gegründet wurden die Volksmudschahedin 1965 in Teheran – zunächst als islamische und in Teilen marxistisch und antiimperialistisch inspirierte Geheimorganisation. Sie halfen 1979 beim Sturz des Schahs. Doch das darauffolgende klerikale Regime beteiligte sie nicht an der Macht, sondern verfolgte sie. Die Volksmudschahedin verübten Anschläge auf Staatsdiener und flohen dann ins Exil, die meisten in den Irak. Von dort aus kämpften sie an der Seite Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg gegen ihr eigenes Land.

“Personenkult in seiner extremsten Form”

Im Irak wandelten sie sich immer mehr zur Sekte, so beschreibt es der US-Historiker Ervand Abrahamian. Um den damaligen Anführer Massoud Radschawi habe sich “ein Personenkult in seiner extremsten Form” entwickelt. Laut einem Bericht von Human Rights Watch hätten Ehepaare sich aus ideologischen Gründen scheiden lassen müssen, Kinder seien von ihren Eltern getrennt worden. Das US-Außenministerium kam 1994 in einem Report zu dem Schluss: Die Organisation sei eine “Oppositionssekte”. Mitglieder im Westen würden zuweilen in Gemeinschaftshäusern leben, sie würden dort wenig eigenes Geld bekommen und hätten streng durchstrukturierte Tage – ebendies behaupten Aussteiger nun über die Villa in Berlin. Und auch deutsche Sicherheitskreise sehen die Volksmudschahedin bis heute als in sich geschlossene Gruppierung mit sektenartigen Strukturen.

Dass es der Organisation trotzdem gelang, von sich im Westen ein positives Bild zu zeichnen, hat viel mit dem 14. August 2002 zu tun, jenem Tag, an dem die Volksmudschahedin überraschend die Bühne der Geopolitik betraten: Damals präsentierte der US-Sprecher des Nationalen Widerstandsrats bei einer Pressekonferenz in Washington Beweise dafür, dass Iran an einem geheimen Atomprogramm arbeitete. Eine Sensation. Wie der New Yorker später aufdeckte, hatte der israelische Geheimdienst Mossad den Volksmudschahedin die Informationen zugespielt. Doch bis heute profitiert die Organisation von der Glaubwürdigkeit, die ihr damals zuteilwurde.

So ließen sich offenbar auch einige der US-Soldaten, die sieben Monate später in den Irak einmarschierten, von den Volksmudschahedin einwickeln. Das legt ein Report des Thinktanks RAND nahe, der die US-Streitkräfte berät. Die Volksmudschahedin präsentierten sich dem Report zufolge als Freunde Amerikas, die Informationen über den Iran liefern könnten – obwohl sie zuvor noch an der Seite Saddam Husseins gestanden hatten.

Die Charme-Offensive hatte Erfolg: Im Juni 2004 stufte das US-Verteidigungsministerium die Volksmudschahedin im Irak als “geschützte Personen” nach der Vierten Genfer Konvention ein – obwohl die Organisation damals noch auf Washingtons Terrorliste stand. Medienberichten von damals zufolge wollten sich Hardliner wie Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney die Widerstandkämpfer warmhalten, als mögliche Waffe gegen Iran. Später, ab 2005, trainierten US-Spezialkräfte laut Recherchen des New Yorker einige Volksmudschahedin in der Wüste in Nevada. Laut NBC töteten sie auch Atomphysiker im Iran – im Auftrag des Mossad. Die Organisation hat dies stets bestritten.

“Sie haben uns kontrolliert – gedanklich, sozial, finanziell”

Ab 2009 jedoch wurde es für viele Mitglieder der Volksmudschahedin gefährlich. Über 3.000 von ihnen lebten damals noch immer in einem Camp im Irak, ohne Waffen, denn die hatten die Amerikaner den normalen Mitgliedern abgenommen. Proiranische Milizen griffen sie an, viele Menschen starben. Politikerinnen und Politiker wie Rita Süssmuth setzten sich seinerzeit mit dem “Deutschen Solidaritätskomitee für einen freien Iran” dafür ein, zumindest einige der Widerstandskämpfer aufzunehmen. Mit Erfolg: Etwa 100 kamen nach Deutschland. Viele von ihnen seien nach ihrer Ankunft in der besagten Villa in Berlin-Wilmersdorf gelandet – so berichten es die ehemaligen Bewohner, mit denen ZEIT ONLINE sprechen konnte.

Alle dieser Informanten wollen anonym bleiben, nichts in diesem Text darf auf ihre Identität hindeuten. Weder ihr Alter, ihr Geschlecht noch der Zeitraum ihres Aufenthalts in der Berliner Villa, nicht einmal ihre genaue Zahl kann deshalb hier genannt werden. So viel nur darf man sagen: Es sind mehrere, und ihre Beobachtungen sind einige Jahre alt. ZEIT ONLINE konnte über Monate hinweg viele Stunden lang persönlich mit ihnen sprechen. Ihre Angaben wurden, wo immer möglich, überprüft und verifiziert. Sie alle wünschen sich noch immer Freiheit und Demokratie für den Iran. Doch irgendwann, so sagen sie übereinstimmend, hätten sie einsehen müssen, dass dieses Ziel nicht alle Mittel heilige.

“Wir dachten, wir kommen nach Europa, in die Freiheit”, sagt eine dieser Personen über die Ankunft in Deutschland. “Doch in Berlin haben uns die Führungskräfte der Organisation weiter kontrolliert – gedanklich, emotional, sozial, finanziell.” Normale Mitglieder der Volksmudschahedin, so berichten die Aussteiger, hätten die Berliner Villa nur für Sport oder im Auftrag der Organisation verlassen dürfen, und nie allein – mindestens zu zweit hätten sie sein sollen, um sich gegenseitig auszuspähen.

Frauen hätten damals im Dachgeschoss geschlafen, Männer im Keller, meist je vier, fünf Leute in einem Zimmer, manchmal zehn. Für einige Mitglieder in Führungspositionen – meist Frauen – habe es allerdings Sonderrechte gegeben: Sie hätten oft Einzelzimmer mit Fernsehern gehabt und hätten freier leben können. Wie alle anderen Frauen hätten jedoch auch sie ein Kopftuch tragen müssen. Die Mitglieder hätten zudem dreimal am Tag beten sollen. Regelmäßig seien Unterstützerinnen und Unterstützer der Organisation vorbeigekommen, manchmal auch Rita Süssmuth. Doch sie hätten nur zu sehen bekommen, was sie sehen sollten.

Gedanken an Sex und Familie seien verboten gewesen

Ihren Alltag, so berichten die Aussteiger, hätten die Kader der Organisation streng durchstrukturiert: Um sieben Uhr hätten sie aufstehen müssen, nach dem Frühstück hätten sie den ganzen Tag für die Organisation gearbeitet, etwa auf der Straße Spenden gesammelt. Am Abend habe es ideologische Sitzungen gegeben, in denen sie verbotene Gedanken hätten offenlegen müssen – etwa Gedanken an die eigene Familie. Denn Familie sei ein “Demotivator” im Kampf gegen das iranische Regime, habe es geheißen. Auch sexuelle Gedanken hätten sie gestehen müssen. “Man musste alles ausstülpen, von unten bis oben, und auf ein Blatt Papier schreiben”, sagt ein ehemaliges Mitglied. “Etwa: Ich habe jemanden auf der Straße gesehen und hatte Lust, mit der Person zu schlafen.” Es sei entwürdigend gewesen.

Die Mitglieder seien zudem durch Methoden gefügig gehalten worden, die typisch für Sekten sind, etwa durch Schlafentzug. Es habe manchmal bis spät in die Nacht politische Sitzungen gegeben, berichten die Aussteiger, etwa von 22 Uhr bis vier Uhr morgens. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Villa seien oft übermüdet gewesen. Und auch eine weitere Manipulationstechnik von Sekten sei angewendet worden: die Zerstörung sozialer Bindungen. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Villa, so sagen die Aussteiger, hätten ihre eigenen Kinder, ihre Mütter, Väter, Schwestern und Brüder nur selten sehen dürfen, viele nur etwa einmal im Jahr. Die Sehnsucht nach der Familie sei instrumentalisiert worden, um die Mitglieder zu manipulieren – etwa, indem Kontakt nur erlaubt wurde, wenn sich jemand besonders fügsam verhielt. Eine Person, die heimlich ein Familienmitglied besuchte, sei danach wochenlang kritisiert und psychisch fertig gemacht worden.

Sie seien zudem von den Informationen der Außenwelt weitgehend abgeschirmt worden, hätten fast nur den Fernsehsender der Volksmudschahedin vorgesetzt bekommen. Wer Zeitungen und Magazine las oder Radio hörte, sei kritisiert worden. Eigene Musik zu hören sei verboten gewesen, ebenso wie Internet auf dem Handy. Das Internet auf den Computern in der Villa sei zensiert worden. Und aus den Filmen, die sie etwa einmal die Woche hätten ansehen dürfen, seien die Kuss- und Sexszenen herausgeschnitten gewesen.

Bilder von Folteropfern und hungernden Kindern

Zugleich hätten die Kader ihnen Angst gemacht vor dem Draußen, vor Berlin, vor Deutschland. An jeder Ecke lauere der iranische Geheimdienst, habe es geheißen. “Und sie sagten, die Leute draußen seien egoistisch, selbstbezogen und ziellos, nur wir seien echte Freiheitskämpfer”, sagt ein ehemaliges Mitglied. Das Leben in der Organisation hätten sie als Himmel auf Erden dargestellt, das Leben außerhalb als Hölle. Man habe zwar theoretisch jederzeit gehen können, sagt ein ehemaliges Mitglied. Durch solche Manipulationstechniken der Organisation sei ihnen dieser Schritt jedoch enorm schwierig erschienen: “Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, dass draußen eine lebenswerte Welt auf mich wartet.”

Welchen Zweck hatte diese mutmaßliche Manipulation, was sollten die Mitglieder in der Villa? Die Aussteiger sagen: Sie seien günstige Arbeitskräfte gewesen. Von früh bis spät, so berichten sie, hätten sie für die Organisation Aufgaben erledigen müssen, sechs bis sieben Tage die Woche. Einige hätten zum Beispiel Politikerinnen und Unterstützer betreut oder die deutschsprachigen Websites der Organisation aktuell gehalten. Andere hätten Demonstrationen organisiert. Dafür hätten sie Statistinnen und Statisten aus Osteuropa angeworben. Diese Praxis zumindest lebt bis heute fort: Im Juli konnte ZEIT ONLINE vor dem Brandenburger Tor in Berlin mit Slowakinnen und Polen sprechen, die angaben, für bloße 45 Euro einen Berlin-Trip samt Hotelübernachtung ergattert zu haben. “Dafür mussten wir nur auf diese Demo gehen”, sagte eine Frau, die eine Volksmudschahedin-Flagge schwenkte. Angeworben worden sei sie über Facebook. Worum es gehe? “Um Menschenrechte für Iran.”

Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Berliner Villa aber, so berichten es die Aussteiger, hätten Spenden für die Volksmudschahedin gesammelt. Sie seien etwa zu wohlhabenden Personen nach Hause gegangen und hätten sie gezielt umworben. Andere Mitglieder hätten in Fußgängerzonen gestanden, hätten Bilder von Folteropfern und hungernden Kindern gezeigt – diese Sammler waren in Berlin zeitweise ein alltägliches Bild. Besonders in der Vorweihnachtszeit habe das viel Geld eingebracht. Dieses sei an mehrere Tarnvereine geflossen, die von der Berliner Villa aus geführt worden seien.

“Wir haben den Leuten nie gesagt, das Geld geht an die Volksmudschahedin”

Einige dieser Vereine sind bis heute aktiv. Sie tragen Namen wie “Hilfswerk für Menschenrechte im Iran”, “Verein für Menschen und Freiheit” oder “Verein für Hoffnung der Zukunft”. In der Vergangenheit warnte das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI), das die Verwendung von Spendengeldern prüft, bereits vor einigen dieser Vereine: Sie würden nicht transparent geführt. Tatsächlich sagen die Aussteiger: Diese Vereine seien von ganz anderen Leuten geleitet worden als im Vereinsregister angegeben. Spenderinnen und Spender seien zudem über das wahre Ziel ihrer Zuwendungen getäuscht worden. “Wir haben den Leuten nie gesagt, das Geld geht an die Volksmudschahedin”, berichtet ein ehemaliges Mitglied. “Sondern zum Beispiel: Das ist, um eine Frau im Iran vor der Todesstrafe zu retten.” Tatsächlich sei das Geld zum Beispiel in die Demos und Kampagnen der Volksmudschahedin geflossen.

Sie selbst, sagen die ehemaligen Bewohner, seien für ihre Arbeit allerdings kaum entlohnt worden: Etwa 50 bis 100 Euro hätten sie pro Monat in bar überreicht bekommen, plus etwas Zigarettengeld. Zeitweise seien sie nicht einmal krankenversichert gewesen. Auf Anfrage antworteten die Volksmudschahedin auch auf diese Vorhaltungen nicht.

Politiker sind überrascht, mit wem sie sich eingelassen haben

Sektenstrukturen, Täuschungen, Spendenbetrug: Immer wieder gab es in der Vergangenheit solche Vorwürfe gegen die Volksmudschahedin, immer wieder schafften sie es, mit geringen Strafen davonzukommen oder gar nicht belangt zu werden und die Vorwürfe als Propagandakampagne des iranischen Regimes abzutun. In der Öffentlichkeit wurde ihnen das Image der verleumdeten Freiheitskämpfer teils geglaubt – wohl auch, weil es einen wahren Kern hat: Tatsächlich führte das Regime in Teheran immer wieder Kampagnen gegen die Volksmudschahedin und spionierte sie in Europa aus, so steht es auch in deutschen Verfassungsschutzberichten. Erst im Februar verurteilte ein belgisches Gericht einen iranischen Diplomaten zu 20 Jahren Haft: Er habe 2018 einen Anschlag auf das Jahrestreffen der Volksmudschahedin in Frankreich geplant. Dort sprach auch Trumps Anwalt Rudy Giuliani.

Der iranischstämmige Außenpolitiker Omid Nouripour (Grüne) warnt jedoch davor, diese Verfolgung als Ausweis von Vertrauenswürdigkeit zu sehen – die Devise “der Feind meines Feindes ist mein Freund” führe im Fall der Volksmudschahedin in die Irre: “Diese müssen sich auch selbst fragen lassen, inwiefern sie demokratische Prinzipien und Menschenrechte garantieren”, sagt er. Seit Jahren versucht Nouripour, seine Kolleginnen und Kollegen im Bundestag über die Organisation aufzuklären. Die, sagt Nouripour, versuche hartnäckig, Parlamentarier mit Schlagworten wie “Freiheit” und “Menschenrechte” für ihre Zwecke zu ködern.

Fragt man die beiden Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß und Christoph de Vries, warum sie im November 2020 an der Konferenz mit der Anführerin der Volksmudschahedin teilgenommen haben, dann begründet das ein Sprecher der CDU Hamburg mit ganz ähnlichen Werten: Die beiden stünden “an der Seite des iranischen Volkes, das nach Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung strebt”, schreibt er. “Darin stimmen wir vollständig mit dem DSFI überein, in dem sich auch namhafte Persönlichkeiten wie Rita Süssmuth engagieren.” Auf den Vorwurf, die Volksmudschahedin seien eine Sekte, schreibt der Sprecher: Solche Vorwürfe entsprächen “teilweise im Wortlaut den Aussagen des Mullah-Regimes, seines Geheimdienstes und seiner Milizen”.

Der Anfrage vertraut wegen Rita Süssmuth

Andere Teilnehmer der Konferenz zeigen sich nach Anfragen von ZEIT ONLINE überrascht, mit wem sie sich da eingelassen haben. Aus der Einladung zur Konferenz sei nicht ersichtlich gewesen, dass diese mit den Volksmudschahedin zu tun habe, sagt ein Bundestagsabgeordneter, der sich nicht mit Namen zu erkennen geben will. Angefragt habe lediglich das DSFI. Er habe sich für eine Teilnahme entschieden, weil er das Thema Menschenrechte im Iran wichtig finde. Da auch der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert auf der Teilnehmerliste gestanden habe, habe er keine Bedenken gehabt. Norbert Lammert wiederum sagt gegenüber ZEIT ONLINE: Er habe der Anfrage vertraut, weil sich im DSFI schließlich nicht nur seine Amtsvorgängerin und Parteifreundin Rita Süssmuth engagiert, sondern auch andere langjährige Abgeordnetenkollegen.

Gemeint ist zum Beispiel der kürzlich verstorbene ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt, lange Zeit Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und Martin Patzelt (ebenfalls CDU), der bis vor Kurzem noch im Bundestag saß. Beide sind noch immer im Vorstand des DSFI aufgeführt. Auf Anfrage sagt Patzelt, er unterstütze die Volksmudschahedin, weil er sie für die schlagkräftigste demokratische Opposition zum iranischen Regime halte. Er verfolge die Entwicklungen bei den Volksmudschahedin jedoch aufmerksam und kritisch.

“Sie lassen sich von den Volksmudschahedin täuschen”

“Man braucht nur ein, zwei berühmte Namen”, erklärt ein ehemaliges Mitglied der Volksmudschahedin deren Lobby-Strategie. In die erste Kontaktperson müsse man sehr viel Energie investieren. Man müsse die Person mit Aufmerksamkeit und Komplimenten überschütten, ihr Geschenke machen – und ihr das Gefühl geben, sich für eine sinnvolle, noble Sache zu engagieren. In einem zweiten Schritt könne man dann langsam die Idee aufbringen, dass die Person ja einen Verein oder einen Zusammenschluss gründen könnte, der sich für die Volksmudschahedin einsetzt. “Es ist ein psychologischer Trick: Wenn man jemanden nach so viel Schmeichelei um einen Gefallen bittet, glauben Leute, sie schulden einem etwas und können kaum nein sagen.” Mit einer einzigen angesehenen Politikerin könne man viele weitere prominente Unterstützer anziehen. In Deutschland würden Rita Süssmuth und das DSFI diese Funktion erfüllen.

Geld, so glauben die ehemaligen Bewohner der Berliner Villa, würden die deutschen Politikerinnen und Politiker für ihr Engagement keines bekommen. “Sie wollen Gutes tun, aber sie lassen sich von den Volksmudschahedin täuschen”, sagt ein ehemaliges Mitglied.

Aus anderen Ländern ist jedoch belegt, dass die Organisation auch üppige Redehonorare zahlt. Trumps ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton erhielt 2017 für eine Rede zum Beispiel 40.000 Dollar von den Volksmudschahedin, wie der Guardian berichtete. Und selbst mit Parteispenden stand die Organisation bereits in Zusammenhang. 2014 finanzierten Volksmudschahedin-Sympathisanten etwa in großem Stil den Europawahlkampf der rechtspopulistischen spanischen Vox-Partei, wie die Zeitung El País aufdeckte. Deren Gründer Alejo Vidal-Quadras ist langjähriger Unterstützer der Volksmudschahedin. Glaubt man den Aussteigern, dann wurden über die Villa in Berlin ähnliche Honorare an ausländische Politiker abgewickelt – an welche, und ob auch diese Zahlungen aus Spendengeldern finanziert wurden, das will oder kann keiner von ihnen genau bezeugen.

Leben hier noch immer Menschen?

Ein sonniger Sonntag im Oktober in Berlin, vor der Wilmersdorfer Villa weht eine grün-weiß-rote Flagge mit einem goldenen Löwen, die Flagge der Volksmudschahedin. Daneben filmt eine Überwachungskamera. Vor der Villa herrscht geschäftiges Treiben. Autos fahren weg und kommen wieder, Männer mit Schnurrbärten rauchen, telefonieren im Vorgarten. Immer wieder kommen Frauen aus der Glastür der Villa oder verschwinden wieder im Haus – einige tragen Kopftuch und Uniform, die typische Kleidung der weiblichen, vollen Mitglieder der Volksmudschahedin.

Handelt es sich um eine Art Geschäftsstelle, ein Büro, in dem der Letzte abends das Licht ausknipst und alle nach Hause gehen?

Oder leben einige dieser Menschen hier? Ist die Villa ihr Zuhause?

Falls ja, könnte das bedeuten, dass die sektenähnlichen Methoden, von denen die Aussteiger sprechen, dort noch immer angewendet werden. Solche Praktiken würden die Organisation im Kern ausmachen, sagt eine Person, die einst in der Villa gewohnt hat. Mitglieder würden jedoch angehalten, das gegenüber Außenstehenden vehement abzustreiten. “Von innen”, sagt eine weitere Person, “sieht bei den Volksmudschahedin vieles anders aus als von außen.”

Mitarbeit: Julia Kanning